Männerchöre

 

aus: Men Weg zur Musica Sacra

Die Männerchöre

1967 wollte mich der Staatssekretär im Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultur, Erwin Lauerbach, ehemals Sänger in der Studentenkantorei, nach Würzburg holen. Eine Professur am Bayerischen Staatskonservatorium würde in Kürze frei, und ich sollte auch Stellvertretender Direktor sein. Ich informierte mich an Ort und Stelle. Da oben in Marienberg eine Wohnstatt mit meinen Lieben? Es gab gute Gespräche mit dem Direktor des Konservatoriums, Prof. Lennartz. Die Lehrfächer Chorleitung und Orgelspiel waren leider besetzt. Ich sollte die Studierenden im Privatmusiklehrer-Seminar zum Staatsexamen führen und die Musikwissenschaft vertreten mit dem Schwerpunkt Geschichte der Oper und der Operndramaturgie. Ich bat um Bedenkzeit, musste den verlockenden Ruf “abtasten”. Aber durfte ich denn meinen Dienst in der Gemeinde aufgeben, meine “Großfamilie” der Kantorei verlassen?

Als mein Arzt von einem Milieu- und Berufswechsel zum jetzigen Zeitpunkt abriet – ich hatte eine Operation mit nachfolgendem Lungeninfarkt hinter mir – war es noch leichter, sich zum Bleiben zu entscheiden. Hinzu kam: ich betreute die freikirchlichen Männerchöre. Diese sangen in den Gottesdiensten ihrer Gemeinden, in Krankenhäusern, Strafanstalten und bei besonderen Veranstaltungen (Zeltmission, Evangelisation). Ganz wichtig war die Schulung der Dirigenten.

Die erste Schulungswoche 1963 in Bergneustadt im Oberbergischen war gleichsam der Auftakt. Es war eine Lust, mit den 20 Teilnehmern zu arbeiten, Köperliches, Geistiges, Seelisches miteinander zu verbinden: Atemtechnik mit Stimmbildung, Wortleib mit Klangleib, Notenbild mit Klangbild. Meine Frau wirkte mit, übernahm die Stimmschulung Einzelner. Mit Orgelmusik in der Dorfkirche ging die Woche zu Ende. Die Dirigenten empfanden die Woche als viel zu kurz. Es war spannend, als sie merkten, was ein Chorleiter tun kann und tun muss, und sie waren verblüfft, dass dies bei aller gebotenen Konzentration auf die Sache ohne Zeitdruck, entspannt, sogar mit Humor gewürzt möglich ist.

Die Bibelschule Wiedenest blieb zentraler Tagungsort. Auch in Gevelsberg, Bredenscheid üb. Hattingen, Grundschöttel-Volmarstein, Wiehl, Hagen, Großalmerode, Braunschweig, Hamburg und Nürnberg wurden Kurse gehalten, oft in Verbindung mit einer Abendsingwoche für die Gemeinde. Immer wieder war meine Tochter Erdmute mit dabei und bereicherte die Abendmusiken mit Arien und Solokantaten.

Ein Chorleiter fasste zusammen: Sie [die Schulungswochen] waren Zurüstung für den Dienst als singende Evangelisten. Ein anderer fügte hinzu: Eine Demonstration herzlicher Bruderschaft. In den “Männerchor-Nachrichten” wurde von Teilnehmern ausführlich berichtet. Da las ich, ich wäre ein Knecht Christi in der Musik. –

Bei Großveranstaltungen wirkte ein Chor von ca. 80 Sängern mit, u.a. bei der “Aussendung der Zeltevangelisten” und der “Aktion Hoffnung” 1965 in der Berliner Kongresshalle, und 1966 bei der Evangelisation Billy Grahams im Berliner Sportpalast. Ein besonderer Höhepunkt war 1968 eine Feierstunde in der Berliner Philharmonie, in welcher meine Frau und meine Tochter Renate mitwirkten. Ich spielte Orgelwerke von Joh. Seb. Bach. Ein Pastor schreibt: Nur mit großer Freude und innerer Bewegung konnte man erleben, wie der profane Raum eine gottesdienstliche Weihe erhielt, und  da wären die Stimmen vieler Zuhörer, die nicht nur die Disziplin der Sänger und die Schönheit der Klänge hervorhoben, sondern mit Erstaunen erlebt hätten, dass sie in dem großen Raum den Text wortwörtlich verstehen konnten. Ähnlich hieß es schon 1967 nach einem Singen in der Berliner Hochschule für Musik.

1970 endete meine “Singarbeit”: Die Berliner Männerchöre standen in der Kirche am Hohenzollernplatz hoch oben vor der Orgel. Ich sehe sie vor mir, die Schar der Brüder, höre das “Neue Lied”, das sie mit Freuden sangen, “denn er tut Wunder!” Noch einmal sollte es der Chorsatz von Joh. Seb. Bach sein “Dir, dir Jehova will ich singen” und, vertont von Johann Stobäus: “Ich lag in tiefer Todesnacht, du wurdest meine Sonne”.