Zur musikalischen Temperatur   
 II. Wiener Klassik

 

[Dissertation]
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Temperatur/Bach]
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Temperatur/Klassik]
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Temperatur/Schubert]
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Gesänge der Frühe]
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Musica Sacra]
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CD-Begleittexte]
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Die Kurrende]

Vorwort

Die vorliegende Arbeit setzt die Studie "Zur musikalischen Temperatur, insbesondere bei Johann Sebastian Bach" (Kassel 1960) fort, in welcher zunächst die eingewurzelte Ansicht überprüft werden musste, dass Bach die gleichschwebende Temperatur akzeptiert und im Wohltemperierten Klavier demonstriert habe. Nachdem nachgewiesen werden konnte, dass dies zwar immer wieder behauptet, niemals aber bewiesen worden ist, und schließlich alles gegen diese Auffassung sprach, war es verlockend, für die Wiener Klassiker Ähnliches zu wagen, zumal sich als Ausgangspunkt die Wahl der Tonarten anbot. Zu diesem Phänomen gab es eigentlich nur Vermutungen.

Auf Vorarbeiten, vor allem von Hermann Stephani, Paul Mies und Werner Lüthy, konnte nur bedingt zurückgegriffen werden. Sie gehen von der gleichschwebenden Temperatur aus, stützen und belegen Affektdeutungen aufgrund überkommener Aussagen (u.a. Mattheson, Schubart) mit Beispielen wortgebundener Musik, ohne tonsystematische Aspekte zu berücksichtigen. Diese Lücke musste geschlossen werden. Im Widerspiel der Meinungen, Behauptungen und Beweise, in der Härte der Auseinandersetzungen zeigt sich nicht nur die Aktualität der Frage nach dem "rechten Tonmaß in der Musik", sondern auch die Polarität zwischen in kosmischen Baugesetzen verankerten ungleichstufigen Tonsystemen und Temperaturen und der mathematisch-schematischen Konstruktion der Gleichschwebung. Letztere hat u.a. eine befriedigende Lösung des Problems der Tonartencharakteristik nicht ermöglicht.

Es liegt nicht in der Absicht des Verfassers, zum Temperaturstreit herauszufordern; die Aufgabe bestand vielmehr darin, das Wesen, den historischen Rang und die Aktualität, ja "Modernität" ungleichstufiger Temperaturen mit Blickrichtung auf die Musik der Wiener Klassik herauszustellen und damit einen Beitrag zu leisten für die Aufführungspraxis in unserer Zeit.

Ich danke Herrn Hofrat Prof. Dr. Grasberger, Direktor der Österreichischen Nationalbibliothek; Herrn Prof. Dr. Martin Staehelin, Direktor des Beethoven-Archivs in Bonn, für die Erlaubnis zur Durchsicht autographer Bestände, und Herrn Prof. Rudolf Streich für die Fertigung der Temperaturtabellen, -tafeln und Stimmanweisungen. Aus der Sicht des Mathematikers werden in seinem Beitrag historische Verknüpfungen akzentuiert, tonsystematische Fakten rechnerisch und optisch entfaltet und für die musikalische Praxis bereitgestellt.

Frau Dr. Heidemarie Peter-Streich danke ich für wertvolle mus8ikpsychologische Hinweise und meiner Frau Margarete für ihre treue Mitarbeit bei der Sammlung und Sichtung des Materials.

 

Berlín-Wilmersdorf, im August 1980                                                                       Herbert Kelletat